Die erste Begegnung mit den Bewohnern Griechenlands hatte ich Mitte der 60er Jahre, als die ersten griechischen Gastarbeiter in unsere Gegend kamen. Sie arbeiteten in deutschen Zechen, der
Stahlindustrie und in anderen Industriezweigen und ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass sich die Griechen der Umgebung stets am Sonntagmorgen im Cafe Fassbender in Siegburg getroffen
haben. Das muss auch wohl die Zeit gewesen sein, in der die griechischen Gastarbeiter/innen die Griechische Gemeinde Siegburg gründeten, die sich um die Belange ihrer Landsleute
kümmerte.
Einige meiner Freunde arbeiteten in einem großen bekannten Unternehmen in Lohmar, andere in einer Kammgarn-Spinnerei oder in einem pyrotechnischen Betrieb in Eitorf und wieder andere bei Ford in
Köln. Eigentlich wollten sie alle nur ein paar Jahre bleiben und dann wieder in ihre Heimat (die meisten kamen aus der Gegend um Kavala oder Thessaloniki) zurückkehren.
Ganz in die Heimat zurückgekehrt sind bis jetzt die wenigsten meiner Freunde, auch wenn die meisten von ihnen nun ihre Rente beziehen. Viele haben sich in Griechenland ein Haus gebaut, in dem sie nun den Herbst ihres Lebens verbringen. Manche sind mit einem Bein immer noch in Deutschland und manche sind hier vollkommen integriert. Einige von ihnen haben gut gehende Restaurants wie z.B. das Sirtaki in Siegburg, andere betreiben schon in 2. Generation Feinkostläden, Änderungsschneidereien oder andere Unternehmen.
Angefangen hat alles 1971. Maria stammte aus der nordgriechischen Kleinstadt Edessa und war Witwe. Sie kam Mitte der 60er Jahre nach Deutschland und arbeitete als
Gastarbeiterin bei der Kammgarnspinnerei Schöller in Eitorf. Ioannis, ihr Sohn studierte in Messina (Italien) Medizin. Die Semesterferien verbrachte er bei seiner Mutter in
Deutschland, wo ich die Beiden kennen lernte.
Bis zu diesem Zeitpunkt war Griechenland für mich ein großes Fragezeichen. Natürlich wusste ich, wo es geographisch lag. Doch das war auch schon fast alles. Mit den Beiden jedoch begann dieses
Land für mich lebendig zu werden.
Zunächst waren es die Spontaneität und Warmherzigkeit dieser Menschen, die mich in ihren Bann zogen. Da ich zu der Zeit gerade ‚durch die Hölle ging’ und nur menschliche Kälte erfuhr, waren
Marias und Ioannis Fürsorge und Wärme wie Balsam auf meine wunde Seele und Maria war mir zeitweise näher als jeder andere Mensch. Die Begegnung mit diesen Beiden sollte dann auch mein ganzes
weiteres Leben prägen.
Mit der sprachlichen Verständigung haperte es zwar ein wenig und anfangs ging vieles nur mit Mimik und Gestik und – es ging erstaunlicherweise ganz gut.
Natürlich kam es zu manchem Missverständnis, Verwechslungen bis hin zur bühnenreifer Situationskomik. Es dauerte nicht lange, da interessierte mich die griechische Sprache und die ersten Worte
waren mit Hilfe der Beiden bald gelernt. „Danke“ „Bitte“ und „Guten Tag“, das waren die ersten Worte. Es ist eine schöne, klangvolle Sprache, doch nicht ganz leicht zu erlernen.
Und dann war da noch die erste Begegnung mit der griechischen Küche – das war ein wirkliches Fiasko. Man bedenke, man schrieb das Jahr 1971. Da gab es noch keine griechischen Restaurants und die
fremdländische Küche war in Deutschland noch in ihren Kinderschuhen. Wer damals Knoblauch verzehrte, war nicht gerade beliebt und Ausländer nannte man nicht gerade freundlich ‚Knoblauchfresser‘.
Heute geht fast jeder zum Chinesen, Italiener und Griechen und holt sich sein ‚Döner‘ beim Türken. Doch damals, da galt mehr denn je der Satz: ‚Was der Bauer nicht kennt, ....‘
Kurz und gut, Schafskäse und Oliven waren nicht unbedingt etwas, woran der deutsche Gaumen gewöhnt war und mir war der Geschmack völlig fremd. Es erübrigt sich fast, zu erwähnen, daß es mir
anfangs überhaupt nicht geschmeckt hat. Dazu kam dann noch der Retsina, ein herber, geharzter Landwein – brrrr, will Maria mich vergiften? Doch das Gebot des Gastes heißt, den Gastgeber nicht zu
kränken und so wurde dann auch alles brav aufgegessen.
Heute jedoch gehören Schafskäse, Oliven und Retsina zu den Hochgenüssen meiner Gaumenfreuden.
Die griechische Küche, der Klang der Sprache und der Musik – es ist für mich der ‚Himmel auf Erden‘ und was untrennbar damit verbunden ist, das ist der Grieche selber, sein Charakter, seine
Mentalität, seine Prägung.
Und noch ein paar Gedanken - lange Jahre vor der ersten Reise in das Land, wo der wo der europäische Mensch geboren wurde, wo sein Herz zu schlagen und sein Kopf zu fragen begann. (J.
Gaitanidis)
Diesen Artikel würde ich heute (2012) ganz sicher etwas anders schreiben, will ihn jedoch in der Originalfassung hier stehen lassen, weil er meine ganze Leidenschaft und all meine rosarot gefärbten Gefühle für Land und Leute von damals widerspiegelt.
Sicherlich wird jede Beschreibung eines Charakters eine subjektive bleiben müssen, denn jeder schöpft aus dem Schatz seiner Erfahrungen und ich will meine Schilderungen auf keinen Fall
verallgemeinert wissen.
So wie J. Gaitanidis den Griechen in seinem Buch ‚Griechenland ohne Säulen‘ beschreibt, so habe auch ich ihn erfahren. Der Bewohner Griechenlands hat ein stark ausgeprägtes National- und
Familienbewusstsein. Er ist in positivem Sinne stolz und bei großzügiger Betrachtung kann man ihm eine bestimmte Gradlinigkeit nicht absprechen. Natürlich verfolgt er seine Interessen – und das
nicht selten mit List und Tücke. Diese List ist aber nicht das, was wir im Allgemeinen unter einem berechnenden Betrug verstehen. Es ist eher eine Art von ‚geistigem‘ Sport. Er prüft dabei die
Intelligenz seines Partners, seines Gegenspielers, er jongliert, wie weit er gehen kann – er spielt.
Vielleicht gibt es in Griechenland auch deshalb nicht so viele Diebstähle und Raubüberfälle wie anderswo; setzt doch der Grieche den Diebstahl gleich mit Dummheit. Diebe und Räuber zeigen wenig
Schläue oder Phantasie und wer will schon als dumm gelten? Da ist es sicher kein Wunder, daß der Grieche die Bezeichnung ‚Fuchs‘ (Alepou) eher als Ehrentitel betrachtet als eine
Beleidigung.
Er ist ein recht liebenswürdiger Zeitgenosse, der leicht zu emotionalen Übertreibungen neigt und im Überschwang seiner Gefühle die tollsten Zusagen macht. Aber er meint es wirklich so, in diesem
Moment und das, denke ich, ist doch ausschlaggebend. Seine Spontaneität kommt aus dem Herzen. Er ist nicht in unserem Verständnis berechnend, indem er sich dreimal die Worte überlegt, die er
sagt. Dass dann später nicht alles so geht, wir zugesagt, das darf man ganz einfach nicht so streng beurteilen und eigentlich sollte man damit schon rechnen, sollte ihm jedoch nicht von
vornherein mit Misstrauen begegnen.
Er ist überaus begeisterungsfähig. Allerdings erlischt das Feuer der Begeisterung häufig auch sehr rasch. Der Grieche ist kein Mensch, der alles genauestens durchplanen muss und tausendmal
überlegt, ob das auch klappen könnte, was er sich vorgenommen hat – er beginnt einfach. Leicht neigt man dazu, ihn der Unzuverlässigkeit zu bezichtigen, doch wenn man versucht, sich in seinen
Charakter, in seine Denkweise hineinzuversetzen, wird man ihn verstehen können und sich darauf einstellen.
Auch sein Missverhältnis zur Uhr betrachte ich eher für eine nachahmenswerte Tugend. Er lässt sich nicht gerne vom Terminkalender hetzen und lebt dadurch sicher gesünder als mancher von uns.
Improvisation und Spontaneität, darin ist er einfach ein Genie und man beginnt, an seinem eigenen Perfektionismus zu zweifeln.
Die Familie ist dem Griechen heilig und die Achtung vor dem Alter eine Selbstverständlichkeit. Dass ein Sohn, als sein Vater in Griechenland erkrankte, sich in Deutschland trotz der kritischen
Arbeitslage unbezahlten Urlaub nahm, um den Vater zu pflegen, in Haus und Garten nach dem Rechten zu sehen, das habe ich selbst erlebt. Der Zusammenhalt der Familien hat auch dafür gesorgt, daß
es nur wenige Altenheime gibt. Mit unserem so genannten dichten Netz an Sozialer Sicherheit schaffen wir es nicht, den alten und kranken Menschen das zu geben, dessen sie in Wirklichkeit
bedürfen: Liebe und Geborgenheit. Sicherlich ist es in Griechenland auch die Not, die da zur Tugend wird, denn sie sind ja bei weitem nicht so abgesichert wie wir und wahrscheinlich spielt das
eine Rolle im menschlichen Zusammenleben.
Ja, das Familienleben dort scheint intakt zu sein. Wie lange noch?
Den griechischen Gastarbeiter wird es immer in die Heimat zurückziehen. Häufig ist sein Ziel, im Gastland die Voraussetzung für eine bessere Zukunft in der Heimat zu schaffen. Mir bleibt da
eigentlich nur die Hoffnung, sie mögen in der Zeit, die sie in der Fremde verbringen, nichts von ihrer Identität einbüßen und die Hoffnung, sie mögen unverdorben vom Konsum und einer verwässerten
Moral in das Land ihrer Väter zurückkehren können. Ist das eine utopische Hoffnung eines träumenden Idealisten?
Wie schon angemerkt, so einiges ist hier doch reichlich angestaubt und/oder gar nicht mehr stimmig. Ob es überhaupt mal in dieser Weise gepasst hat? Heute habe ich meine berechtigten Zweifel daran.
Heute gibt es keine rosarote Brille mehr,
heute sehe ich die Griechen weitaus realistischer,
doch die Liebe, die ist geblieben.
Endlich (1986) ist es so weit, dass ich in das Land meiner Träume reisen kann; 15 Jahre nach meiner ersten Begegnung mit Maria und Ioannis. Vielleicht fragt sich jetzt der Eine oder Andere, warum ich das nicht schon früher in die Tat umgesetzt habe. Darauf kann ich nur antworten, dass eben alles seine richtige Zeit braucht. Und die war jetzt gekommen.
Unsere Route 2014